sculptor & sound artist

Betha Maier-Kraushaar, Kunsthaus Fischer, 2014


 


Eröffnungsrede in der Städtische Galerie Ostfildern, 2014
Ausstellung "Hört!" 

Wir hören, wir sehen, wir riechen, wir fühlen und begreifen
- meine sehr verehrten Damen und Herren –

vor allem in der Kunstbetrachtung werden die unterschiedlichsten Sinne angesprochen. Allerdings sind z.B. durch mediale Überfrachtung, durch überlaute Farben und gleißende Tonkaskaden und in der Folge durch die körpereigenen Auswahl- und Ausschaltkriterien nicht alle Sinne gleichermaßen ausgebildet, um nicht zu sagen, sind manche geradezu verkümmert. Oft reagieren wir nur noch auf heftige oder Schlüsselreize.
Diese Ausstellung ist geradezu eine Aufforderung an uns, sich an die subtilen und großartigen Fähigkeiten unseres Körpers, unserer Seele zu erinnern, diese zu pflegen und das Empfundene genussvoll zu nutzen.

Der Titel der Ausstellung „Hört!“ sagt dem Besucher sofort worum es geht und fordert ihn dahingehend auf. Aber wir besuchen ja eine Ausstellung und kein Konzert! Geht dies denn? Hören, hineinhören, zuhören, aufhören, anhören, erhören. Gehört das so?

Auch diese grün und orange fluoreszierenden futuristischen Hörhelme aus Plexiglas mit den eingefrästen Tattoos und Vogelmotiven bieten uns zuerst einen starken visuellen Reiz. Doch sie heben das Hörorgan hervor, denn mit einem solchen Helm, der das Sehfeld farblich einschränkt und zugleich die Außengeräusche dämpft, wird das Sich-Selbst-Hören zum Hörabenteuer.

Mirja Wellmann – bereits mit vielen Preisen und Stipendien ausgezeichnet - untersucht seit vielen Jahren professionell, fast wissenschaftlich das Phänomen des Hörens, den Schall, die Akustik, den Raum. Die Bildhauerin, die bei so unterschiedlichen Professoren wie Werner Pokorny, Giuseppe Spagnulo und Micha Ullmann an der Akademie in Stuttgart studierte, erstellt Hörmanuskripte oft über Stunden und Tage, erkundet die Wege des Geräuschverursachers zum Ohr, erforscht Klänge und deren Begrifflichkeiten.

Obwohl Bildhauerin, ist für Mirja Wellmann der akustische Reiz vordergründig und durch die Erfahrung, die sie in einem schalltoten Raum machen durfte weiß sie einmal mehr, dass der Mensch akustische Impulse braucht, um zu überleben, um das Gleichgewicht zu stabilisieren, um sich zu „verorten“, um seine Physis und seine Psyche zu manifestieren. Es gibt keine Geräusche, die für die Künstlerin störend sind, sondern es sind wertfreie Impulse, die – wenn das Hören trainiert wird – Welten öffnen.

Als Bildhauerin und bildende Künstlerin setzt sie diese akustischen Reize nach der Erstellung von ausführlichen Hörprotokollen in ebenso rhythmische visuelle Reize um:
Wir sehen z.B. im Obergeschoss 12 Linolschnitte, die jeweils eine Person zeigen beim Abhören eines Ortes, eines Raumes mit klar definierten Geräuschrichtungen.
Und oben hängen auch subtile, filigrane, Zeichnungen, die wie Partituren funktionieren, in denen sich rhythmische und gestische Äußerungen durch Linien und flächige farbige Passagen abwechseln, Bewegtheit und Ruhe, Leichtigkeit und Schwere, feine Strukturen und große Flächen, auch unterschiedliche Geschwindigkeiten andeutend.

Hier unten sehen wir in den „Noises“ die Umsetzung auf Leinwand als eine Art „Klangbild“, auf dem Geräuschbegriffe akribisch protokolliert sind. „Das Aufschreiben“, sagt sie, „ist ein bewusster Prozess, durch den sich die Konzentration längerfristig erhöhen lässt.“ Durch kreisförmiges Schreiben des Gehörten werden die akustischen Rhythmen bildhaft aufgezeigt. Die Bilder erzählen sichtbare und hörbare Geschichten, laute und leise, schnelle und langsame, mit gleichmäßigen Harmonien und dramatischen Akzenten besetzt. Wellen entstehen, Verwirbelungen, klare Grenzen und transparente Übergänge, greifende, streichende, fallende, hallende, reibende, kratzende und flügelschlagartige Momente.

Wir sehen hier auch grobe Holzschnitte, die wie Schautafeln auf einem Waldspaziergang wirken. Es sind – wie der Titel sagt - „phonetische Versuchsanordnungen mit Handlungsanweisung derselben“. Was hört man wenn man z.B. die Hände aneinander reibt, oder sich auf die Brust klopft. Unwillkürlich vollzieht der Betrachter die Handlungen nach und erhört die Poesie in den eigenen leisen Körpergeräuschen. Andere Holzschnitte tragen den Titel „Hörphänomene mit Darstellung des Ursprungs derselben“. Der Betrachter wird zum Lesen aufgefordert. Probieren Sie es selbst aus und lesen Sie ruhig laut. Sofort erkennen Sie den Rhythmus des Geräuschverursachers und können sich den abgehorchten Ort visuell vorstellen.
Hier geht es um Laute und Lautbildung, um die Erforschung der Sprache, um Rhythmus, um Benamung und Beschreibung von Phänomenen, die eigentlich keinen Namen haben, um Lautmalerei.

In den HörNestern wird ein bestimmter Ort in ein skulpturales Geflecht umgesetzt. Sie bestehen aus einer Vielzahl von Holzfiguren oder Holzchiffren, die Mirja Wellmann zuvor als Hauptgeräuscherzeuger eines bestimmten Ortes herausgehört hat, z.B. Flugzeug, Kind, Auto, Hund oder Vogel. Diese Chiffren wurden zu einem Nest zusammen gefügt und können nun dem Betrachter zur Decodierung des Ortes dienen, indem er seine eigenen Geräuscherinnerungen abruft.

Mirja Wellmanns Arbeiten sind bildnerische, skulpturale Notenschriften oder Raumnoten, die an das flüchtige Geräusch, das schon vergangen ist, wenn es unser Ohr erreicht, sichtbar erinnern, wobei das angewandte Ausdrucksmittel - die filigrane Zeichnung, der derbe Holzschnitt, das skulpturale HörNest – dem jeweiligen Hörerlebnis der Künstlerin adäquat ist.

Sie interessiert sich für Gehörtes in einem eher ganzheitlichen Sinn, als ein Überschreiten von Grenzen in den Hörerlebnissen. Es geht ihr stets um neue Erkenntnisse darüber, was Geräusche sein können, welche Assoziationen und Stimmungen sie auslösen.

Mit ihren Arbeiten hat sie nicht nur die Grenzen zwischen visueller und akustischer Kunst überwunden, sondern auch das Körperliche, die Zeit und den Raum mit einbezogen. Lässt man die Arbeiten mit einer gewissen Ruhe auf sich wirken, ergeben sich tatsächlich fast magische Momente, in denen es scheint, als würden die Arbeiten selber die Geräusche und Klänge erzeugen oder andersherum, als wären jene es gewesen, die das Bild gemalt, die Skulptur geformt hätten.

Und nun frage ich nochmals: Gehört das so?
Danke.                                        

© Betha Maier-Kraushaar, M.A., November 2014