sculptor & sound artist

Dr. Annett Reckert, Kunsthalle Göppingen, 2008


 

Katalog zur Ausstellung „Leibesübungen“, 2008


hören

Man kann nicht sehen, was andere hören. Das immerhin gebietet den
Herrschaftsverhältnissen, die sich seit dem Ende des späten Mittelalters zwischen den Sinnen
etabliert haben, Grenzen. „Das Auge ist der Herr, das Ohr der Knecht..“, heißt es bei Jacob Gimm.
Beim Hören schwingt immer ein Besitzanspruch mit, das Gehören, die Hörigkeit und der Gehorsam.
Mirja Wellmanns „Hörkabine_Modul 2“, 2007, deren Giftgrün Blicke magisch auf sich zieht, verleitet
dennoch dazu, das Unmögliche zu versuchen, eben das Hören zu sehen. Hat sich ein Mensch in
dieser Kabine niedergelassen, wird klar, warum sich Naturwissenschaft und Kunst die in vitro-
Betrachtung ( und damit auch die Vitrine) teilen. Der Proband wird angeschaut. Vor allem seine Mimik
wird zu einem Display, das je nach Disposition des Betrachters entweder verstohlen oder offensiv
studiert wird. Schließlich sucht man schon immer den Leib-Seele-Konnex, den Ausdruck der
Gemütsbewegungen, vornehmlich anhand des Gesichtes dingfest zu machen. Wer den Proband in
der Hörkabine persönlich kennt, wirft ihm möglicherweise einen Wie-ist-es-Blick zu. Dabei macht die
Arbeit auf die verzwickte Lage der Sinnesvermögen aufmerksam: Man kann den Blick dessen
erwidern, der einen ansieht. Oder man kann die Augen schließen. Die Ohren haben aber keine allzeit
bereiten Verschlüsse. Selbst im Schlaf sind sie ein permanenter Einlass. Perfider Weise ist bei aller
Omnipräsenz der klanglichen Umwelt derjenige nicht zu hören, der einer Person zuhört. In diesem
Sinne begründet der Hörsinn eine spezifische Einsamkeit. Das Aktive, gerichtet Dialogische ist ihm
nicht gegeben. Mirja Wellmanns „Hörkabine_Modul 2“, 2007, ermöglicht ein Alleinsein, das etwas mit
lauschendem Genuss zu tun hat, fast mit Triumph angesichts des temporär besetzten eigenen
Raumes inmitten des öffentlichen Raumes. Die Geräusche der Umgebung dringen gefiltert in die
alleinsehbare Kabine, um sich dort mit dem Klang des eigenen Körpers für andere vollkommen
unzugänglich zu vermischen.